texte / eva buhrfeind

Solothurner Zeitung 20.Juli 2006

Tripoli Graffiti oder die Archäologie des fremden Alltags


SUCHEND Jörg Mollet zeigt neue Arbeiten im Haus der Kunst St. Josef Solothurn.

RELIKTE In der libyschen Wüste macht sich Jörg Mollet auf die Suche nach menschlichen Spuren.
Foto:MADDALENA TOMAZZOLI
 

Nach Südalgerien und Mali nun also Libyen, und damit wieder eine Expedition ins Unbekannte, immer auf Spurensuche nach einer kulturellen Sprache und ihren Bildern, Zeichen und Erinnerungen. Auch auf dieser Reise stand die Dokumentation, von der Unesco unterstützt, prähistorischer Felszeichnungen im Mittelpunkt. Nun aber sammelte Jörg Mollet nicht nur menschliche Zeichen in einer archaischen Landschaft, sondern ging in Tripolis vom Wüsten- in den städtischen Raum auf Spurensuche nach Zeichen und versteckten Bildern in einem islamischen Raum des Bilderverbotes.

UND SO, WIE der Solothurner Künstler in den fremdkulturellen Ereignissen und Spannungen immer auch die eigene künstlerische Herausforderung sucht und auslotet, so prägt sein schon archäologisches In-die-Tiefe-Dringen dieser fremdartigen Kultur-Formationen seine spezifische Bildsprache und hinterlässt seinerseits Spuren in seiner künstlerischen Sprache: Aus der Spurensuche wird auch ein Spurenlegen.

Da ist einmal die Wüste mit den magischen und existentiellen Orten früherer und frühester Bewohner. Hier hebt er mit malerischen Eingriffen die Grenzen von Zeit und Raum auf, Steinanordnungen lassen Behausungen und Lebensformen erkennen, sind aber in der monotonen Weite nur noch chiffrierte Rituale. Fotografiert und per Inkjet ins Papier gespritzt und dann entweder mit Farbe hinterlegt oder vordergründig manipuliert, geht das Reale in imaginäre Stimmungen über, vertieft oder entrückt sich das Wahrgenommene und Empfundene.

WIE SEIT LANGEM schon ortet und lotet Jörg Mollet auf diesen Reisen über die fremden kulturellen Erfahrungen auch die eigene künstlerische Herausforderung aus. Wie ein Archäologe des Alltags durchstreift und durchdringt er die jeweilige Kultur, ihre Werte, Spuren und Ordnungen, setzt den neu entdeckten Lebens- und Alltagschiffren seine persönlichen Notationen entgegen: archetypische Relikte und subjektive Wahrnehmung wachsen zusammen, Alltag und Geschichte überlagern sich, Städtisches und Tradiertes brechen auf wie geschichtete Geschichten. Immer wieder lassen sich Ornamentales wie schmiedeiserne Gitter und ihre Muster entdecken. Profanes, Graffiti, Brüche und Risse kultureller und architektonischer Fassaden oder jene berührenden Fotos schwarzafrikanischer Frisurenmodelle, die aufgrund ihrer Aussenseiterposition ein ganz eigenes Bild-Bewusstsein projizieren.

FOTOGRAFISCHE, mit dem Inkjet ins Papier gespritzte, malerisch manipulierte Protokolle sind es also von einer Reise in uns oft verschlossene radikale Universen aus Gestern und Heute, und damit Abbilder von Abbildern einer fremdartigen Wirklichkeit, ihrer Kennzeichen, Insignien und Merkmale, die der Künstler für sich neu skizziert, indem er in die wahrgenommenen Strukturen und Sichtungen eingreift, hervorhebt oder abschwächt. In diese Augenblicke einer fremden Ikonografie lässt Jörg Mollet auf seine ihm eigene Art und über das Abenteuer des archäologisch nachgespürten unbekannten Alltags eigene Assoziationen einfliessen, bis seine inneren Bewegungen diese äusseren Schichten durchdringen und er sich diese ferne Kultur im eigenen Bild aneignen kann.

Bis 16. Juli. Do/Fr 14–18 Uhr, Sa/So 14–17 Uhr. Es erscheint ein Katalog.


Solothurner Zeitung, Ausgabe vom 20.06.2006